Mit Verlaub sehen viele Menschen die Demokratie als das Maß aller Dinge
an, sie gewährleistet einen hohen Grad an Freiheitsrechten, zu denen unter
anderem das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit
zählen. Sie ist eine Errungenschaft menschlichen Miteinanders unserer
modernen, zeitgemäßen Gesellschaft, doch wie auch der Mensch den
Evolutionsprozessen unterliegt, sind auch die Staats- und Regierungsformen
dem spezifischen Wandel ausgesetzt. In welche Richtung wird sich die
Demokratie entwickeln? Die Soziokratie ist eine aus der Entscheidungsfindung
demokratischer Verfahrensweisen heraus erwachsene emergente Struktur.
Soziokratie ist eine Organisationsform, mit der Organisationen
verschiedenster Größe — von der Famille, über Unternehmen und NGOs bis hin
zum Staat — konsequent Selbstbestimmung ausüben können. In ihrer modernen
Fassung basiert sie auf Erkenntnissen der Systemtheorie. Ihr Hauptziel
besteht in der Entwicklung von Mitverantwortung bei allen gleichberechtigten
Teilnehmern und von kollektiver Intelligenz für den Erfolg der Organisation
als Ganzen.
Die Soziokratie entfaltet ihre Wirkung in der Masse konsensfähiger
Entscheidungen, sie basiert auf den Beschlüssen der Schwarmintelligenz.
Ferner geht sie mit der Gleichberechtigung von Individuen einher, die
tatkräftig an den Resolutionen mitwirken. Sie organisiert sich selbst in
einer kreisförmigen Struktur, und bietet der Mehrheit in
Gruppenentscheidungsprozessen weniger Macht, und dem Einzelnen mehr Macht als
die Demokratie. Gefragt wird bei der Verabschiedung von Abkommen nicht nach
der Übereinstimmung der Meinungen, sondern danach ob einer einen gewichtigen
Einwand vorzubringen hat, und umschifft somit den trägen Prozess der
Konsensfindung des modernen Parlamentarismus. In der Folge beugt das
Konsentprinzip der Blockadehaltung, eines auf einem mehrheitsfähig
konsensbasierten Systems vor, und schafft somit Wege Entscheidungen
nachhaltig und effizient zu treffen. Ein bloßes Dagegenhalten reicht für die
Verhinderung eines Entschlusses nicht vollkommen aus, vielmehr muss der
Streitpunkt mit Gegenargumenten belegt werden, um die Entscheidung nicht zum
Tragen kommen zu lassen.
Um Soziokratie in größeren Gruppen anzuwenden, wird ein System der Delegation
benötigt, bei dem die Gruppe Repräsentanten auswählt, die für sie die
Entscheidungen auf einer höheren Ebene treffen sollen, wobei die nächst
höhere Ebene nicht niedriger gestellt zu sein braucht als die untere. Das
Entscheidungsgremium einer „nächsthöheren“ Ebene darf in einer
soziokratischen Organisation seine Politiken nicht einer „nächstniedrigeren“
Ebene aufzwingen.
Der niederländische Unternehmer Gerard Endenburg klassifizierte die
Soziokratie in vier Elemente:
1.) Der
Konsent regiert die Beschlussfassung, das Konsentprinzip.
2.) Die
Organisation wird in Kreisen aufgebaut, die innerhalb ihrer Grenzen autonom
ihre Grundsatzentscheidungen treffen.
3.) Zwischen
den Kreisen gibt es eine doppelte Verknüpfung, indem jeweils mindestens zwei
Personen an beiden Kreissitzungen teilnehmen.
4.) Die
Kreise wählen die Menschen für die Funktionen und Aufgaben im Konsent nach
offener Diskussion.
Das Konsentprinzip beruht, wie wir oben bereits ausgeführt haben, auf dem
Einverständnis der Delegierten. Der zweite Punkt berührt die autarke Stellung
der einzelnen Kreise, die völlig unabhängig von einander über die
Streitfragen entscheiden. Fürderhin wäre dies ein enormer Schritt in Richtung
selbstverantwortliche Lebensgestaltung, die direkt vom Volk ausgeht, da die
einzelnen Kreise keine Abstufungen in punkto Wichtigkeit vornehmen. Damit
Politik nicht aneinander vorbeigehe, gibt es eine Überkreuzverflechtung der
einzelnen Kreise, was der dritte Punkt hervorhebt. Entscheidungsträger werden
von den Kreisen in eigenverantwortlicher Weise gewählt, was eine breite
Verzahnung der Bevölkerung im politischen Prozess gewährleistet. Folgerichtig
legt der Bürger die weitere Direktive politischer Ausrichtung fest, und ist
letzten Endes für den Gedeih und Verderb der Gemeinschaft maßgebend.
Die soziokratische Ordnung setzt auf die Scharmintelligenz, sprich auf
die bereits von Aristoteles propagierte Summierungstheorie kollektiver
Entscheidungshilfen. Die Masse irrt sich selten, und ist schließlich für die
Entscheidungsprozesse maßgeblich verantwortlich. Dabei geht die Kraft der
soziokratischen Gesellschaft direkt vom Volk aus, worin auch das Potential
dieses Systems liegt. Man kann ruhigen Gewissens davon ausgehen, dass die
Soziokratie die Modernisierung der Demokratie darstelle, und es einen Versuch
wert ist, sie breitflächig zu etablieren.
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